Rezension: Neue Informations- und Kommunikationstechnologien für wissenschaftliche Bibliotheken

Erscheint in: Auskunft 18(1998)


Neue Informations- und Kommunikationstechnologien für wissenschaftliche Bibliotheken : Bericht der IKB-Kommission / Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst. München: Saur, 1997. 74 S. ISBN 3-598-11350-1. DM 36,-

TUB-HH-Signatur: BUH-338


Im August 1995 setzte der Bayerische Staatsminister für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst die Kommission für "Neue Informations- und Kommunikationstechnologien für wissenschaftliche Bibliotheken " (IKB) ein, um die Auswirkungen dieser technologischen Entwicklungen auf wissenschaftliche Bibliotheken "abzuschätzen und realistisch zu beurteilen." Vorausgegangen war eine Kommission "Elektronische Fachinformation (EFI) an den Hochschulen in Bayern", die ihren Bericht "Wissenschaftliche Information im elektronischen Zeitalter" im Juli 1995 veröffentlichte.[1] Dieser ist im hier zu besprechenden Bericht der IKB-Kommission allerdings nur an einer Stelle (S. 60) erwähnt.

Mitglieder der IKB-Kommission waren hochrangige Vertreter des bayerischen Bibliothekswesens (Frankenberger, Leskien, Vorholzer), der bayerischen Informatik sowie der Verleger Saur.

Nach einem Überblick über drei wesentliche Auswirkungen, die die zunehmende Online-Information auf das Publikationswesen haben wird (hinsichtlich Konzentration, Publikationsformen, Urheberrecht), werden acht bibliotheksbezogene Aspekte mit gegenwärtigen Stand und neuen Entwicklungen kurz und knapp behandelt und jeweils Empfehlungen für die Bayerische Staatsregierung gegeben:
Bestandsaufbau, Erschließungssysteme, OPAC, Nutzen und Lieferung, Entgelte und Abrechnungssysteme, Neue Szenarien und Organisationsstrukturen, Retrokonversion und Langzeit-Archivierung.

Das kleine Heft ist auch über die bayerische Situation hinaus interessant. Gleichwohl scheint es doch etwas mit der "heißen Nadel" gestrickt. Einige amüsante Druckfehler decken mangelndes fachliches Lektorat auf, so wenn von einem "Mega-Daten-Konzept (Management von Daten über Daten)" im Kapitel Erschließungssysteme (S. 21) die Rede ist oder wenn "Bibliotheken in steigender Zahl ihre Web-Surfer im Internet aufbauen" (S. 24). Auch wer bei der Kürze des gesamten Büchleins ein ausführliches Literaturverzeichnis erwartet hätte, wird enttäuscht: Mehr noch, einige der wenigen Literaturhinweise scheinen kaum zum Text zu passen oder wirken so, als ob noch schnell ein passendes Zitat gesucht wurde (z.B. S. 29 und S. 35).

Es folgen nun ein paar fachliche Anmerkungen, die deutlich machen sollen, warum es sich lohnt, das kleine Büchlein trotzdem zu lesen:

An mehrerem Stellen wird auf notwendige oder zu erwartende organisatorische Änderungen in den Bibliotheken hingewiesen, die sich aus den Bedingungen der neuen IuK-Technologien ergeben werden, so z.B. auf das Verschmelzen von Aufgaben (Dokumentenlieferung) derzeitiger Erwerbungs- mit denen bisheriger Fernleih-Abteilungen (S. 17). Die absehbaren Veränderungen werden voraussichtlich "zu einschneidenden Veränderungen im Personalkörper und bei den persönlichen Anforderungen führen, aber auch in der Aufbau- und Ablauforganisation." (S. 44) Zu diesem Thema sind auch Widersprüche zwischen einzelnen Kapiteln wahrzunehmen. So wird z.B. in "Neue Szenarien und Organisationsstrukturen" gesagt, daß die bisherige Grundstruktur (Erwerbung, Katalogisierung und Benutzung) ergänzt werden muß durch "Einheiten, die auf technische und marktstrategische Aufgaben ausgerichtet sind." (S. 52). Der zweite Teil des Satzes ist sicherlich richtig. Meine eigene These ist jedoch, daß sich die Grundstrukturen auflösen werden: Zur Auswahl und Erwerbung elektronischer Medien ist edv-technische Kompetenz notwendig bzw. wird diese aufgebaut. Diese muß dann auch genutzt werden, um die Benutzung dieser Medien zu gewährleisten oder zu schulen.[2] Es wird zu einer Verschmelzung von Medienbearbeitung und Benutzung kommen, wie es mit der Annäherung von Erwerbungs- und Fernleih-Abteilungen oben schon erwähnt wurde.

Bei der Behandlung des OPAC wird interessanterweise zwischen lokalem und virtuellem "OPAC (Verbundkataloge, DBV-OSI II, Internet usw.)" (S. 29) unterschieden.

Der Abschnitt "Nutzung und Lieferung" untersucht Veränderungen des traditionellen Informationsprozesses. Gefordert wird hier unter anderem auch eine "Spezialisierung der Universalbibliotheken", für die es unvermeidlich ist, "das gesamte Leistungsspektrum grundsätzlich zu überdenken und Prioritäten neu zu setzen... Innovation und attraktive Leistungen sind gefragt." (S. 41)

Gesamtpolitisch erfordert der Gesichtspunkt "access vs ownership" zusätzlich eine engere Abstimmung zwischen Bibliotheken zumindest einer Region (S.17).

Ein wichtiger Punkt im Kapitel "Entgelte und Abrechnungssysteme" hebt hervor, daß in Zukunft Abrechnungssysteme fester Bestandteil lokaler Bibliothekssysteme sein müssen, die außerdem Schnittstellen zu staatlichen Abrechnungssystemen (Mittelbewirtschaftungssystemen) haben sollten.

An mehreren Stellen wird, wenn auch etwas versteckt, betont, daß Bibliotheken in bestimmten Bereichen auch die Rolle von Verlagen übernehmen sollten (S. 42 und S. 52).

Eine Aufgabe von Bibliotheken der Zukunft wird die Erschließung von Informationssystemen und Datenbanken sein.

Wichtig ist auch das Kapitel "Langzeit-Archivierung", das allerdings nur die Probleme und Möglichkeiten beschreibt und keine wirkliche Empfehlung geben kann. Dies ist wahrscheinlich noch zu früh. Langzeit-Archivierung setzt allerdings eine bestimmte minimale Betriebsgröße und großen technischen Aufwand voraus, was z. B. für manche Regionalbibliotheken das Ende des Pflichtexemplarrechts zumindest für elektronische Publikationen (, falls es so etwas einmal gibt,) bedeuten kann

Das letzte Kapitel "Empfehlungen zur Entwicklung von Kooperation und Koordination" versucht dann, manche der Unterschiede der einzelnen Kapitel, die vermutlich von verschiedenen Verfassern erarbeitet wurden, etwas zu glätten. Hier finden sich auch Anmerkungen zur Position des Fachreferenten, für den bei der Sacherschließung bei regionaler Aufgabenteilung mehr als bisher das Fachprinzip dominieren muß. Durch die regionale Verantwortung wird seine Position aber auch gestärkt. Vor Ort muß er vermehrt "unterschiedliche Erschließungsmethoden an die Benützer vermitteln (Informationsmanagement)." (S. 72) [3]


Copyright: Thomas Hapke

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[1] Wissenschaftliche Information im elektronischen Zeitalter : Bericht der Sachverständigenkommission "Elektronische Fachinformation (EFI) an den Hochschulen in Bayern". München: Bayerisches Staatsministerium für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst, 1995. Im Internet unter der URL: http://www11.informatik.tu-muenchen.de/EFI/

[2] Auf elektronische Zeitschriften bezogen vergleiche dazu Thomas Hapke: Elektronische Zeitschriften in der Bibliothek der Zukunft. Auskunft 15 (1995) S. 150-166. Hier S. 153f

[3] Siehe dazu auch die 12 Thesen zur Zukunft des Fachreferenten, die Helmut Oehling auf der Fortbildungsveranstaltung der Arbeitsgruppe Fachreferat Naturwissenschaften im März 1997 vorgetragen hat. URL: http://www.tu-harburg.de/b/hapke/agfnthes.html


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