Rezension: Joachim Hasebrook - Multimedia-Psychologie

Erscheint in: Auskunft 17(1997)238-244


Joachim Hasebrook: Multimedia-Psychologie : eine neue Perspektive menschlicher Kommunikation. Heidelberg: Spektrum Akadem. Verl., 1995. ISBN 3-86025-287-9 330 S. mit CD-ROM. 98,- DM

TUB-HH-Signatur: 2773-7039


Literaturhinweise und Links zu den Themen:


Der Begriff "Multimedia-Psychologie" weckt vielfältige Assoziationen. Die Erwartungen an den Inhalt des Buches waren für mich von zwei Fragestellungen geprägt:

Die Vielfalt der Assoziationen korrespondiert mit den im hier zu rezensierenden Buch angesprochenen Themen. Der Autor, praxiserfahrener Psychologe und Informatiker (!), stellt Ergebnisse und Instrumente des modernen interdisziplinären Forschungsgebiet Kognitionswissenschaft vor, damit wir den neuen Informations- und Kommunikationsmedien nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern sie gegebenfalls optimal einsetzen können. Dabei werden alle Kapitel in historische Zusammenhänge, Fakten und Illustrationen eingebettet.

Das Buch beginnt mit einer "kleinen Geschichte der Information". Spätestens hier ist deutlich, daß dieses Buch auch und gerade für das Bibliotheks- und Informationswesen eine interessante Lektüre darstellen kann. Zurecht hat Klaus Tochtermann in seinem Vortrag auf der 1. Inetbib-Tagung[1] darauf hingewiesen, daß "Bibliotheken nicht auf die Erfahrungen der letzten 10 Jahre aus den Bereichen Hypertext/Hypermedia und Benutzungsschnittstellen verzichten" können, um z.B. gute Hypertext- und Multimedia-Informationen anzubieten.

Die Geschichte der Information und Kommunikation und ihrer Medien kann natürlich von Hasebrook nur angerissen werden. Sie ist immer auch Kulturgeschichte. Die Entwicklung von der mündlichen zur schriftlichen Überlieferung in der Antike ist ebenso als deren Teil anzusehen, wie der Übergang von der (Hand-)Schriftkultur zur Druckkultur im ausgehenden Mittelalter. Gerade auch die Entwicklung der Wissenschaft oder genauer das, was wir heute unter Wissenschaft verstehen, kann auf die Entwicklung unserer bisherigen Überlieferungstechniken zurückgeführt werden. Insofern stellt sich die Frage, ob das, was wir zur Zeit erleben, nämlich der Übergang von der gedruckten Schriftkultur auf die der elektronischen Medien, nicht nur Auswirkungen auf unser kulturelles Leben und Erleben hat, sondern auch auf die Art und Weise, wie in Zukunft Wissenschaft und damit auch wissenschaftliche Kommunikation betrieben wird.

Die Entstehung von Schrift und Buch,[2] von Informationserfassung und -verwaltung, werden im Einführungskapitel "Von Mesopotamien nach Multimedia" behandelt.

Leider enthält dieses Kapitel aus meiner Sicht auch ein kleines Ärgernis. Wesentliche Teile dieses Kapitels berichten von Forschungsergebnissen des jetzt in Australien lehrenden Informationshistorikers und Otlet-Experten W.B. Rayward,[3] ohne daß der zugrunde liegende Artikel oder der Name des Autors im Kapitel oder in einer Fußnote erwähnt wird. Er steht nur am Ende des Buches im Literaturverzeichnis, für mich keine ausreichende Behandlung von Forschungsergebnissen anderer !

Ergänzt werden alle Kapitel des Buches durch umrahmte Einschübe mit zugehörigen Extrathemen, vom Prinzip her große Fußnoten, die ähnlich assoziativ wie in einem Hypertextsystem zusätzliche Erläuterungen geben.

Die Einschübe haben z.B. folgende Themen:

Ab und zu hat man beim Durchlesen des Buches das Gefühl des "Lost in Hyperspace", weil der Autor es versäumte, explizit seine Bezüge und Zielsetzung auszudrücken oder am Anfang einen Überblick über sein Gesamtvorhaben zu geben.[5]

Das Arbeiten mit Hypertexten scheint auch auf das klassische Druckmedium abzufärben, vielleicht ja auch ein bißchen auf diese Rezension.

Von den beiden am Anfang dieser Rezension erwähnten Assoziationsbereichen werden in den Anfangskapiteln des Buches besonders die Grundlagen zum ersten gelegt. Wie nehme ich wahr ? Wie wird akustische und visuelle Information verstanden ? Wie werden Texte verstanden und behalten ? Mit der Beantwortung dieser Fragen werden in mehreren Kapiteln die Voraussetzungen für den zweiten Teil des Buches gelegt, die Gestaltung, der Einsatz und die Evaluation neuer interaktiver Kommunikationsmedien, eben von Multimedia-Systemen. Immer wieder sind interessante, leicht nachvollziehbare Beispiele im Text integriert.

Die Stärken und Schwächen von Hypertext und Multimedia aus psychologisch-didaktischer Sicht werden klar umrissen. Schon die oben zitierten Überschriften der Einschübe machten deutlich, daß der Autor das Thema nicht einseitig-euphorisch sondern durchaus kritisch beleuchtet. Im Vergleich mit dem thematisch ähnlichen Buch von Schulmeister [6] ist Hasebrook weniger theoretisch und trocken. Zum spezielleren Bereich Hypertext und zum praktischen Web-Design werden einem beide Bücher vielleicht etwas wenig bieten, man ist hier auf die umfangreiche Spezial-Literatur angewiesen.[7]

Das letzte Kapitel des Buches mit dem Untertitel "Wie Multimedia die Gesellschaft verändert" reißt dann in einer Art "Tour d'horizon" eine Fülle an Themen an, die besonders den anfangs erwähnten zweiten Assoziationsbereich abdecken.

Computerspiele können eine eigene Wirklichkeit schaffen, aber so fragt Hasebrook, was, "wenn das Spiel nicht die Wirklichkeit ersetzt, sondern in die Wirklichkeit umgesetzt wird". (S. 275) Welchen Einfluß hat die kommende multimediale Technik auf Kultur, Literatur,[8] Geschichte, deren Überlieferung und das individuelle Bewußtsein ? Hier findet man über Hasebrook hinausgehende, weitere Diskussionsgrundlagen bei Autoren wie z.B. Vilèm Flusser,[9] Marshall McLuhan,[10] Ivan Illich und Barry Sanders.[11]

Selbst die Themen "Telearbeit" und "Schlanke Produktion" werden vom Autor aus "Multimedia-Sicht" kommentiert, sogar ein Bezug zwischen Multimedia und Großtechnologie (Beispiel Tschernobyl) hergestellt.

Auch das Ende des Buchzeitalters ist für Hasebrook noch nicht gekommen. Wenn selbst der Guru des Digitalen Nicholas Negroponte in seinem Buch "Total Digital" schreibt,

bleibt das Buch auch in der Zukunft in vielen Bereichen ein wichtiges Informationsmedium.[13]

Multimedia ist für Hasebrook keine Schlüsseltechnologie der Zukunft, sondern ein Sammelbegriff für eine Reihe derzeit am Computer verfügbarer Darstellungsformen und -technologien.

Eines gilt für dieses Buch im Gegensatz zu vielen anderen Multimedia-Büchern. Es wird nicht so schnell veralten. Die angesprochenen Themen bleiben z.B. auch nach neueren Software- und Hardware-Entwicklungen im Multimedia-Bereich interessant und die Schlußfolgerungen des Autors, wenn man ihm folgen möchte, gültig.

Mit der dem Buch beigegebenen CD-ROM erhält der Leser einen kleinen Überblick über gängige Multimedia-Programme. Nur wenige der enthaltenen Programme werden im Text erwähnt.[14] Eines, die Demoversion des elektronischen Buches "Eine kurze Geschichte der Zeit" von Stephen Hawkins, wird aber z.B. im Buch von Schulmeister ( S. 283ff) besprochen. Interessant auch eine Hypertext-Applikation über ein Projekt zum Thema Hypertext. Die Aussage im Klappentext des Buches ist, insgesamt gesehen, aber richtig:

Im letzten Abschnitt des Buches heißt es:

Hoffentlich wird dieser Abschnitt von möglichst vielen, besonders von Bibliothekaren und Informationsspezialisten, gelesen.


Copyright: Thomas Hapke

zurück zur HomePage der TUB-HH

[1] "Hyper-G und virtuelle Bibliotheken" URL: http://www.ub.uni-dortmund.de/Inetbib/v_tochtm.htm

[2] Zur Ergänzung hierzu sind aus meiner Sicht besonders folgende Werke interessant:

[3] Rayward, W. Boyd: Some schemes for restructing and mobilising information in documents : a historical perspective. In: Information processing & management. 30 (1994) 163-176

[4] Hierzu sind die Bücher von Werner Künzel und Peter Bexte besonders interessant, bieten sie doch eine Kulturgeschichte der "Denkmaschinen": "Allwissen und Absturz : der Ursprung des Computers" (Frankfurt a.M.: Insel, 1993) sowie "Maschinendenken Denkmaschinen : an den Schaltstellen zweier Kulturen"(Frankfurt a.M.: Insel, 1996).

[5] Dies wird auch von Heike Gerdes in ihrer Rezension (URL: http://www.psychologie.uni-bonn.de/allgm/mitarbei/privat/gerdes_h/hyper/Haseb.htm) bemerkt, die auf ihrer Homepage im Internet auch einen Text zum "Lernen mit Hypertext" mit interessanten Links zum Thema anbietet(URL: http://www.psychologie.uni-bonn.de/allgm/mitarbei/privat/gerdes_h/hyper/Inhalt.htm).

[6] Rolf Schulmeister: Grundlagen hypermedialer Lernsysteme : Theorie - Didaktik - Design. Bonn: Addison-Wesley, 1996

[7] Hier kann z.B. besonders das Buch von Jakob Nielsen: Multimedia & Hypertext : the Internet and beyond. Cambridge: Academic Pr., 1995, hervorgehoben werden, das 1996 auch als deutsche Ausgabe im Vieweg Verlag, Braunschweig, erschienen ist. Nielsen, der jetzt bei Sun arbeitet, gibt in einer monatlichen Kolumne im WWW (URL: http://www.sun.com/columns/alertbox.html) auch praktische Tips zum Design von WWW- und Multimedia. Das Buch von Cliff McKnight and Andrew Dillon: Hypertext in Context. Cambridge: Cambridge Univ. Pr., 1991, enthält ein interessantes Kapitel über Linearität und Hypertext und über die historische Entwicklung von Lesen und Schreiben. Wichtig, weil eng zum Thema gehörig, auch das englischsprachige Buch Hypertext : a psychological perspective / Ed.: C. McKnight, A. Dillon and J. Richardson. New York: Ellis Horwood, 1993.

Zum Thema Web Design sind neben Nielsens Columne und dem Artikel von Henning Behme: "Was Ihr sollt : Überlegungen zur Gestaltung von Web-Dokumenten" aus dem iX-Magazin 11/1996 (URL: http://www.heise.de/ix/artikel/9611156/) z.B. auch folgende Quellen im Internet interessant:

[8] Zur Literatur sei zum Beispiel das Buch "Hyperkultur" : zur Fiktion des Computerzeitalters / hrsg. von Martin Klepper... Berlin: De Gruyter, 1995 empfohlen

[9] Flusser, Vilèm: Die Schrift : hat Schreiben Zukunft ? 4. Aufl. Göttingen: Verl. European Photography, 1992.

[10] McLuhan, Marshall: Die Gutenberg-Galaxis : das Ende des Buchzeitalters. Bonn: Addison-Wesley, 1995 (Erste englische Originalausgabe 1962)

[11] Illich, Ivan; Barry Sanders: Das Denken lernt Schreiben : abc : Lesekultur und Identität: Hamburg: Hoffmann u. Campe, 1988.

[12] Nicholas Negroponte: Total digital : die Welt zwischen 0 und 1 oder Die Zukunft der Kommunikation. 2. Aufl. München: Bertelsmann, 1995. Siehe auch die Rezension in Auskunft 16(1996)205-208.

[13] Siehe auch den Artikel von Rainer Traub: Bücher und Zweifel: Besiegelt die globale Vernetzung das Schicksal der Schriftkultur ? im Spiegel Special "Die Kunst des Schreibens" Nr. 10/1996

[14]Es sind dies die vom Arbeitsgeber des Autors, Medialog, herausgegebenen Programme z.B. zur Berufsberatung.


zurück zur HomePage der TUB-HH