Geschichte der Sielklär-Versuchsstation Hamburg-Eppendorf

Einleitung

Die Sielklär-Versuchsstation in Hamburg-Eppendorf ist ein kleine, aber wichtige Etappe in der Geschichte der Wasserver- und entsorgung in Hamburg. Ihre Vorgeschichte ist enthalten in einer Akte mit der Beschreibung der Anlage aus dem Jahre 1897. Der große Brand in Hamburg im Jahre 1842 führte zu Verbesserungen sowohl in der Wasserversorgung als auch in der Wasserentsorgung. Maßgeblichen Anteil hatte daran der Engländer William Lindley (1808-1900), dessen Pläne zur Errichtung eines neuen Leitungsnetzes sowie eines Sielsystems zur Schwemmkanalisation realisiert wurden. Das Trinkwasser für das Leitungsnetz wurde durch große Ablagerungsbecken nur unzureichend geklärt. Eine von Lindley für notwendig befundene Sandfiltrationsanlage wurde zunächst von den zuständigen Behörden nur eine geringe Priorität eingeräumt.[1] In der Nachschrift zu eines Reiseberichtes des Amerikaners James P. Kirkwood über die "Filtration des Flusswassers zur Versorgung der Städte" aus dem Jahre 1876 beschreibt Arnold Samuelson[2] das Hamburger Wasser noch folgendermaßen:

"Dasselbe wird indessen bis jetzt mit der ganzen Fauna der Elbe in Röhren gepumpt und ist zu dem während eines grossen Theils des Jahres gelb, ja unter Umständen braun gefärbt und undurchsichtig, so dass man es nicht einmal zum Baden, geschweige denn zum Trinken benutzen mag."[3]

Samuelson diskutierte in seinem Text Themen wie die Möglichkeit der Sicherstellung der Hamburger Wasserversorgung durch Quellwasser aus dem Harz sowie die Probleme einer Trennung von Trink- und Verbrauchswasser und auch die Notwendigkeit einer Sandfiltration des Elbwassers. Trotzdem wurde erst 1891 mit dem Bau einer Filtrationsanlage begonnen. Zu spät: Die Hamburger Cholera-Epidemie im Jahre 1892 forderte über 8500 Tote.[4] Das benachbarte Altona, das eine Sandfiltrationsanlage besaß, blieb weitgehend von der Epidemie verschont. Evans schreibt:

"...in Hamburg drei Gründe für Ausbruch und Ausmaß der großen Cholera-Epidemie von 1892 genannt werden können. Der am wenigsten wichtige Grund war der Komplex von chronischer Überbelegung der Wohnungen, Armut und Mangelernährung, drei Übel, die ... vor allem nach dem Bau des neuen Hafens in den achtziger Jahren in praktisch allen ärmeren Stadtteilen anzutreffen waren. Dieser Faktor wurde allerdings nur dann wirksam, wenn auch die beiden anderen vorlagen. Überbevölkerte Wohnungen, Armut und schlechte Ernährung verschärften die Wirkungen der Krankheit, da sie deren rasche Übertragung von einem Menschen zum anderen begünstigten. Wirksam werden konnten sie aber nur deshalb, weil der Krankheitserreger mit dem Leitungswasser praktisch in alle Haushalte gelangte. Die hauptsächlichen Gründe dafür, daß die Krankheit in Hamburg epidemische Ausmaße annahm, liegen darin, daß zum einen Senat und Bürgerschaft viel zu spät dem Bau einer zweckmäßigen Filteranlage für die Wasserversorgung zustimmten und zum anderen kein umfassendes System der Abwässerbeseitigung und -klärung existierte... Der wichtigste Grund jedoch waren die Verzögerungs- und Vogel-Strauß-Politik der Hamburger Behörden."[5]

Eine der notwendigen Konsequenzen aus der Cholera-Epidemie war also die Verbesserung der Abwasserbeseitigung und -reinigung. Der erste Schritt dazu war der in den Jahren 1893 und 1894 initiierte Bau der Sielklär-Versuchsstation. Das ebenfalls als Auswirkung der Epidemie 1892 gegründete Hygienische Institut[6] übernahm die wissenschaftliche Leitung der Versuche in der Anlage. Nachdem anfangs vor allem Fragen der Desinfektion und chemischen Behandlung der Abwässer im Vordergrund standen, spielte nach 1896 die biologische Abwasserreinigung die größte Rolle. Daß die Versuchsanlage damit an vorderster Stelle in der Forschung stand, wird deutlich, wenn man in eine 1897 erschienene Schrift über "Abfallwässer und ihre Reinigung" hineinschaut: Ganze 14 Zeilen nehmen in diesem Buch von immerhin 102 Seiten die biologischen Verfahren ein, sofern man nicht die Rieselverfahren auch dazu zählt.[7] Dabei nahm die Versuchsanlage, "wo mit vielen Kubikmetern Abwasser operiert wurde," eine Mittlerrolle zwischen theoretisch begründeten Laborversuchen, "die in Flaschen oder ähnlichen kleinen Behältern ausgeführt wurden, häufig, und zwar namentlich dann zu Irrtümern Anlaß gegeben haben, wenn von ihnen aus Schlüsse direkt auf die Großpraxis gezogen wurden," und rein empirischem Vorgehen im großen Maßstabe ein, wie es in England und Deutschland in der Regel Praxis war. Für den Leiter des Hygienischen Institutes, W.P. Dunbar, war klar, daß die "Versuche, wie sie uns durch die Schaffung der Hamburger Klärversuchsanlage ermöglicht wurden, als eine unentbehrliche Voraussetzung für das genaue Studium von Abwasserreinigungsmethoden" anzusehen waren.[8] Die Sielklär-Versuchsstation Hamburg-Eppendorf war eine der ersten Anlagen in Deutschland, an der biologische Abwasserreinigungsverfahren wissenschaftlich untersucht wurden.

Planung und Vorgeschichte der Anlage

[9]

Datiert vom 15. September 1893 legte der Oberingenieur Franz Andreas Meyer[10] der Bau-Deputation einen "Bericht betreffend: Versuch einer chemischen Klärung und Desinfection der Sielwässer Hamburgs durch Erbauung einer Versuchsanlage beim neuen Allgemeinen Krankenhaus in Eppendorf" vor. Von der Bau-Deputation wurde am 21. September 1893 beschlossen, den Bericht an das Medicinal-Collegium[11] zu senden, das insbesondere zur Höhe der jährlichen Betriebskosten Stellung nehmen solle, da dies "seitens des Ingenieurwesens nicht wohl abgeschätzt werden könne".

Der Leiter des Hygienischen Institutes Dunbar bestätigte in einem Schreiben vom 29.9.1893, daß sich die von Meyer beschriebene Anlage "sehr gut für die Prüfung der Kröhnke'schen Methode zur Klärung von Sielwässern eignen" würde und diese auch für die Prüfung anderer Klärverfahren geeignet sei. Gleichzeitig schlug Dunbar vor, die Leitung der Versuche dem Hygienischen Institut zu übertragen. Dem Schreiben war außerdem ein Kostenvoranschlag für die Ausrüstung des Laboratoriums und die Betriebskosten der Anlage beigefügt.

Dem Antrag des Senats vom 6. Juli 1893 "betreffend die Herstellung einer Versuchsanlage für die chemische Klärung und Desinfection von Sielwässern" erteilte die Bürgerschaft am 11. Juli 1894 ihre "Mitgenehmigung".

Das Ende der Anlage

Schon 1906 sind Beschwerden über die Sielklärversuchsstation aktenkundig. In einem Ausschnitt aus dem Hamburger Fremdenblatt No. 80 vom 5. April 1906 heißt es unter der Überschrift "Aus dem Bürgerverein":

"Der gemeinsame Verkehrsausschuß der Eppendorfer und Hohelufter Bürgervereine hielt unter Herrn Abmeyers Vorsitz in Oehrleins Lokal eine Versammlung ab... ... Weiter kam die Angelegenheit der Kläranlage in der Erikastr. zu eingehender Erörterung. Es wurde berichtet, daß diese Anlage einen überaus unangenehmen Geruch in der ganzen Umgebung verbreite. Da die Fensterscheiben des Klärhauses an zahlreichen Stellen defekt seien, kann der üble Dunst sich ungehindert verbreiten. Eine vor ca. 4 1/2 Monaten an die Baudeputation gerichtete Eingabe auf Entfernung der Kläranlage ist bislang unbeantwortet geblieben..."

Im Jahre 1910 erfolgten erneute Beschwerden. 2 Jahre später heißt es dann in einem Bericht der Abteilung für Sielwesen der Bau-Deputation vom 16. April 1912:

Am 4. März 1913 schreibt Dr. Kister vom Hygienischen Institut an Obermedizinalrat Prof. Dr. Nocht: "Eu. Hochwohlgeboren,

beehre ich mich auftragsgemäss ergebenst zu berichten, dass die Versuchskläranlage für Sielwässer in Eppendorf, ... im November 1912 endgültig außer Betrieb genommen wurde."


[1] Zur Diskussion über die Sandfiltration vergleiche Evans, Richard J.: Tod in Hamburg : Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910. Reinbek: Rowohlt, 1990. S. 194ff. Signatur: 2702-7215; Wasser für Hamburg : zur Geschichte der Hamburger Wasserversorgung und -entsorgung. Hamburg: Museumspädagog. Dienst, 1992. S.40-42. Signatur: 2734-4419.

[2] Gestorben 1913 in Schwerin, Bauinspektor unter F. Andreas Meyer. Nach: Hamburg und seine Bauten 1914. Hamburg: Architekten- und Ingenieur-Verein, 1914. 1. Band, S. 98

[3] Kirkwood, James P.: Filtration des Flusswassers zur Versorgung der Städte : Bericht an den Board of Water-Commissioners der Stadt St. Louis. Hamburg: Meissner, 1876. S. 149. Signatur: 2726-4890

[4] Vergleiche auch: Der blaue Tod : Die Cholera in Hamburg 1992. Hamburg: Museumspädadagog. Dienst, 1992. Signatur: 2733-6090

[5] Evans, a.a.O., S. 388 im Kapitel "Vom Verschweigen zur Katastrophe"

[6] Vergleiche: Bojar, Ralph und Jochen Bockemühl: 100 Jahre Hygienisches Institut der Freien und Hansestadt Hamburg. Hamburg: Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales, 1992. Signatur: 3209-7418

[7] B. Burkhardt: Die Abfallwässer und ihre Reinigung. Berlin: Springer, 1897. Signatur: B I 18

Vergleiche auch: Karl Imhoff: Die Geschichte der biologischen Abwasserreinigung. In: GWF Ausgabe Wasser 94(1953) Heft 12. S. 153-157

[8] Dunbar, W.B., K. Thumm: Beitrag zum derzeitigen Stande der Abwasserreinigungsfrage mit besonderer Berücksichtigung der biologischen Reinigungsverfahren. München, Berlin: Oldenbourg, 1902. S. 11. Signatur: B IV e 12

[9] Grundlage der folgenden Abschnitte sind Auszüge aus Acten, die im Staatsarchiv Hamburg aufbewahrt werden:

- 111-1 Senat Cl. VII Lit. F f Nr. 3 Vol. 42 Fasc. 79a

Acta, betr. die Herstellung einer Versuchsanlage für die chemische Klärung und Desinfection von Sielwässern... 1-25

- 111-1 Senat Cl. VII Lit. F f Nr. 3 Vol. 42 Fasc. 79b

Acta, betr. Berichte über die Versuchskläranstalt für Sielwäasser in Eppendorf. 1-4. 1897 1899

- 352-3 Medicinalkollegium II O 19.

Acte betr. Sielwasserversuchskläranlage bei dem allgemeinen Krankenhaus Eppendorf. Eröffnet 21.9.1893. Geschlossen 4.3.1913.

[10] Franz Andreas Meyer (1837-1901) wurde 1872 Oberingenieur der Baudeputation, der Hamburger Verwaltungs-Abteilung für das Bauwesen. Siehe auch: Evans, a.a.O., S. 204-205

[11] Das Medicinal-Kollegium gehörte zur Verwaltungsabteilung für polizeiliche und innere Angelegenheiten.


Copyright: Thomas Hapke, 29.1.1996
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